„Nur der Betreuer kann lernen“ – Strategien in der Betreuung von Demenzkranken

„Wenn es mit dem Kochen nicht mehr gut klappt, bringt es nichts, einem Demenzkranken eine Mikrowelle zu kaufen. Er wird den Umgang damit nicht mehr lernen und stattdessen seine Fähigkeiten in der Küche weiter verlieren.“ 

An diesem anschaulichen Beispiel verdeutlichte der Internist und Geriater Prof. Dr. Hans Georg Nehen von der Gerontologischen Beratungsstelle Memory-Clinic in Essen seine Kernbotschaft: In der Demenzversorgung können nur die Pflegenden und Angehörigen laufend lernen, die Betroffenen müssen hingegen in ihrer Welt ernst genommen werden. Beim JuraHealth Congress 2015 beschäftigten sich mehr als 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Pflege und Medizin mit aktuellen Strategien zum Umgang mit Menschen mit Demenz und nahmen dabei vor allem die Belastungen für die professionell Pflegenden in den Blick. Frau Claudia Stiller-Wüsten, Leiterin des Arbeitskreises „Offensive Gesund Pflegen“ in der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA), stellte in diesem Zusammenhang Bewältigungsstrategien bei herausforderndem Verhalten dar. 

Kongressinitiator Prof. Dr. Volker Großkopf (li.) ließ es sich nicht nehmen selbst eine Reihe von Mobilitätshilfen auszuprobieren.

Der Kölner Pflegerechtler Prof. Dr. Volker Großkopf führte hierzu aus, dass die professionell Handelnden in einem ständigen Spannungsfeld zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung ihrer Patienten, Bewohner und Klienten und der eigenen Belastungsgrenze, zum Beispiel bei physischen Angriffen, stehen. Hier müssten Pflegende sehr genau über die rechtlichen Rahmenbedingungen für freiheitsentziehende Maßnahmen und vor allem über die vielen modernen Alternativen durch eine besondere Betreuung der Betroffenen informiert sein. Frau Prof. Dr. Sabine Alexandra Engels von der Katholischen Hochschule NRW stellte die wissenschaftlichen Ergebnisse zum Trialogkonzept vor und zeigte dabei auf, dass die Zusammenarbeit zwischen Betroffenen, Angehörigen und Ärzten sowie Pflegenden für eine zielführende Betreuung der Menschen mit Demenz von großer Wichtigkeit ist.

Workshop mit Moti Abel zu physischen Interventionstechniken.

Sehr handfest trainierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines begleitenden Workshops den Umgang mit aggressivem Verhalten, bei dem auch die Würde der Bewohnerinnen und Bewohner bewusst geschützt wird. Dazu hatte die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege als Kongresspartner den bekannten israelischen Selbstverteidigungstrainer Moti Arbel eingeladen, der in den Kölner Sartory Sälen Hinweise zu richtigen Reaktionen bei körperlichen Angriffen in der Pflege gab.

Dr. Alexander Risse, Chefarzt des Diabeteszentrums am Klinikum Dortmund, beklagte in seinem außergewöhnlichen Abschlussvortrag unter dem Titel „Alter, Revolte und Resignation“ den falschen Blickwinkel vieler Mediziner auf den Prozess des Älterwerdens. Er vermisst bereits in der Ausbildung eine tatsächliche Auseinandersetzung mit dem Alter und beobachtet stattdessen „Zentrierung um operationalisierbare Parameter“. Dabei gehe es stets um „Lebensverlängerung vor Lebensqualität“, kritisierte Risse.

Die Tanzpädagogin Ronja White demonstriert in einem Workshop, wie Tanzen Menschen mit Demenz unterstützen kann.
Tanzpädagogin Ronja White beim Workshop zum Tanz mit Menschen mit Demenz.

Der JuraHealth Congress wurde erneut durch eine umfangreiche Fachausstellung ergänzt. Das Satellitensymposium der BeckAkademie stellte zeitgleich den Werdenfelser Weg als einen besonders sinnvollen Umgang mit aggressiven Bewohnern oder Menschen mit Weglauftendenzen ohne die Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen vor und erläuterte das Miteinander von Pflegenden und rechtlichen Betreuerinnen und Betreuern. 

Ein weiterer Workshop von Ronja White, der den Tanz von Menschen mit Demenz in den Mittelpunkt der Betrachtung stellte, rundete das facettenreiche Programm des JuraHealth Congresses 2015 ab. Der 9. JHC, welcher am 21. April 2016 in den Kölner Sartory Sälen stattfinden wird, steht unter dem Motto „Tatort Sturz – zwischen Qualitätsanspruch und Mitarbeiterüberforderung“.