Demografie ist kein Schicksal

Zu seinem zehnjährigen Jubiläum ist der JuraHealth Congress (JHC) wieder zu seinen Anfängen zurückgekehrt – zumindest was die thematische Ausrichtung betrifft: Bereits bei seinem Debüt 2008 in Leipzig wurde auf die demografische Entwicklung der Gesellschaft, dem zunehmenden Mangel an Ärzten und die besondere Situation des Pflegepersonals geblickt.

Hinzu kam ein Disput über die Neuverteilung der Aufgaben von Medizin und Pflege, ausgelöst durch das damals neue Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (PfWG). Dieses enthielt Modellklauseln, die erstmals eine dauerhafte Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten auf Angehörige der Pflegeberufe vorsahen.

Und heute? Besagte Modellklauseln sind noch immer nicht zum Tragen gekommen. Demgegenüber zeichnet sich der demografische Wandel umso deutlicher ab und der Fachkräftemangel betrifft inzwischen nicht mehr nur die Ärzteschaft, sondern auch die Pflegeberufe.

Vor allem die Situation der Letztgenannten bot aus Sicht des Veranstalters genug Anlass, die 10. Auflage des JHC unter der provokanten Frage „Demografie ist kein Schicksal: Pflegekollaps oder Beschäftigungsmotor?“ zu stellen. Für Antworten sollten bekannte Referentinnen und Referenten sorgen, wie beispielsweise Prof. Christel Bienstein, von der Universität Witten/Herdecke und zugleich Präsidentin des DBfK, Prof. Gertrud Hundenborn (Katholische Hochschule NRW), Prof. Dr. Barbara Knigge-Demal (praxisHochschule Rheine) sowie der Preisträger des Deutschen Pflegepreises 2017, Prof. Dr. Michael Isfort (Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung, dip).

Den Anfang machte Prof. Christel Bienstein. In ihrem Vortrag präsentierte sie die Ergebnisse einer Studie, die für viel Aufmerksamkeit – auch außerhalb der Fachwelt – gesorgt hat. Gegenstand der Studie war die Untersuchung der Situation während des Nachtdienstes in deutschen Altenheimen. Unter anderem wurde darin festgestellt, dass eine Pflegekraft im Nachtdienst im Schnitt die Verantwortung für 52 Bewohnerinnen und Bewohner zu tragen hat. In einzelnen Fällen waren es pro Pflegekraft sogar mehr als 100 Bewohner! Eine unverantwortliche Praxis, die aber in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen stünde, so Bienstein.

Im Anschluss sprach Kongressinitiator Prof. Dr. Volker Großkopf. Auch bei dessen Thema – der „Aufgabenmigration“ – besteht ein allenfalls grober gesetzlicher Rahmen. „Insofern ist es wichtig, sich mit der, diesen Rahmen ausfüllenden Rechtsprechung auseinanderzusetzen“, erklärte der Herausgeber des Fachmagazins „Rechtsdepesche“ und Professor für Rechtswissenschaften an der Katholischen Hochschule NRW. 

Dr. Ali Kemal Gün, psychologischer Psychotherapeut in der LVR-Klinik Köln.

Eine andere Form von Migration sprach Dr. Ali Kemal Gün, psychologischer Psychotherapeut in der LVR-Klinik Köln, im darauf folgenden Beitrag an. Hierbei ging es u.a. um die aktuellen Flüchtlingswanderungen, insbesondere aus den syrischen Kriegsgebieten. Um Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte adäquat begegnen und fachkompetent versorgen zu können, sei es notwendig sich interkulturell zu öffnen, so Gün. 

Die zweite Hälfte des Tages bot nicht minder spannende Themen: Nach der Mittagspause referierten Prof. Gertrud Hundenborn und Prof. Dr. Barbara Knigge-Demal gemeinsam über die Entstehungsgeschichte und Inhalte des Pflegeberufegesetzes. Beide Referentinnen verfügen diesbezüglich über einen besonderen Einblick, da sie an der Ausarbeitung von Teilen der Novelle beteiligt waren. Zuletzt hat das Gesetzesvorhaben vor allem aufgrund der darin formulierten generalistischen Pflegeausbildung zu einer heftigen politischen Auseinandersetzung geführt (insofern wieder eine Parallele zum 1. JHC). Das Gesetze biete aber auch abseits der Generalistik eine Reihe von bislang kaum beachteten Innovationspotenzialen, wie beide Referentinnen bemerkten. Hierzu würden u.a. die Festschreibung von Vorbehaltstätigkeiten, die Etablierung von primärqualifizierenden Pflegestudiengängen sowie die Einbindung der Heilkundeübertragungs-Richtlinie zählen.

Prof. Gertrud Hundenborn von der Katholischen Hochschule NRW und Prof. Dr. Barbara Knigge-Demal von der praxisHochschule Rheine.

Nach diesem Beitrag, der einen Blick auf die Zukunft der Pflege geworfen hat, galt es wieder darum sich mit den Problemen der Gegenwart auseinanderzusetzen: Bereits jetzt sei es für Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste kaum noch möglich qualifiziertes Personal zu gewinnen – und zwar nicht nur auf dem Lande, sondern auch in den großen Ballungsgebieten. Für Dr. Jan Basche, selbst Geschäftsführer eines großen ambulanten Pflegedienstes in Berlin, müssen die Betreiber für sich ein breites Feld managerieller Handlungsoptionen entwickeln, um einer Fluktuation in der Belegschaft zu begegnen.

Als letzter Redner des Tages sprach Erich Schützendorf. Der in der Altenpflegebranche seit Jahrzehnten bekannte und beliebte Autor und Referent beschrieb humorvoll Situationen in denen Pflegekräfte und Bewohner aufeinander getroffen sind und zeigte auf, wie das dabei entstandene Unverständnis leicht aufgelöst werden kann.

Wie immer mit viel Humor dabei: Erich Schützendorff.

Begleitet wurde der JHC von zwei Satellitensymposien. Zum einen widmete sich die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) der Relevanz gesundheitsfördernder Führung für Pflegepersonal und Führungskräfte. Der Träger des Deutschen Pflegepreises 2017, Prof. Dr. Michael Isfort belegte eindrucksvoll die Ist-Situation im Bereich der Pflege. Das komplett ausgebuchte Satellitensymposium war ein großer Erfolg und belegte deutlich die Miststände und Bedarfe im Personalwesen.

Mit insgesamt drei Referenten kam es in der zweistündigen Veranstaltung der avanti GmbH zu einem regen Diskurs zwischen Referenten und Publikum über Themen wie den Personalmangel oder den Umgang mit Mitarbeitern und Führungskräften. Den Start machte Prof. Dr. Marcus Siebolds, der in seinem Vortrag über Führungspositionen in der Pflege das Problem der falschen Motivation thematisierte. Zu häufig würden Mitarbeiter extrinsisch durch die Vorgesetzten zur Arbeit motiviert, dabei wäre der ausgeübte Druck häufig kontraproduktiv. Rechtsanwalt Hubert Klein sprach in seinem Vortrag über die rechtliche Möglichkeit der sog. Überlastungsanzeige, die das Gegenstück zur Abmahnung darstellt und Arbeitnehmern die Möglichkeit bietet, unternehmerische Missstände im rechtlichen Rahmen an den Arbeitgeber zu melden. Zu guter Letzt´ sprach Stephan Rusch das kontrovers diskutierte Thema des Personalmangels an, bei dem er insbesondere ein Umdenken in der Pflege in Form einer aktiveren und innovativeren Mitarbeitergewinnung und ‑bindung forderte. Das Symposium bot den Teilnehmern ein umfangreiches Spektrum an Ideen und Methoden zur Weiterentwicklung des Personalsektors innerhalb der Pflege.

Der JuraHealth Congress beleuchtet regelmäßig aktuelle Themen im Spannungsfeld zwischen Medizin, Pflege und Recht. Der 11. JuraHealth Congress 2018 wird am 24. Mai kommenden Jahres erneut in den Kölner Sartory-Sälen stattfinden und unter dem Motto „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es: Patientensicherheit durch Qualitäts- und Bewusstseinsschaffung“ stehen. Weitere Informationen finden Sie unter www.jurahealth.de.